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Flüchtlingslager „Moria“

Flüchtlingslager „Moria“ – maximale Anzahl an Flüchtigen: 20.000

3.000 = 20.000

Stell dir vor: Du wohnst mit deinen zwei Mitbewohner*innen in einer 3-Zimmer-Wohnung. Alle haben genügend Platz – soweit, so gut. Jetzt multipliziere die Anzahl der Bewohner*innen mit der Ziffer 7. Wie viele Menschen leben nun dort? Ist die Wohnung immer noch groß genug?

Was zunächst wie eine Fangfrage für Viertklässler*innen klingt, die in der Mathe-Arbeit die geschenkten Punkte liebend gerne mitnehmen, ist für viele politische Entscheidungsträger*innen in Europa zu einer schier unlösbaren Gleichung geworden. Eine Gleichung, die wohlgemerkt ihren Namen in diesem Kontext nicht verdient: 20.000 ≠ 3.000.

Das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos war im März 2020 so voll wie noch nie. Circa 20 Tausend Menschen lebten auf einem Raum, der für rund dreitausend Menschen ausgelegt war. Aber es war nicht nur voller, sondern auch menschenunwürdiger als je zuvor. „Menschenunwürdig“ wird ohne Steigerung bereits seinem eigenen Namen gerecht. Groteske Lebensbedingungen, denen ich nur zu gerne ihren Titel aberkennen würde, prägten jahrelang den Alltag von Flüchtigen: Auf dem Weg nach Europa, in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, als jene, die ihr Heimatland für sie bereithält. Der Zwischenstopp als Endstation. Vermeintlich vorrübergehend, offensichtlich dauerhafter als gedacht.

Mein Bewusstsein für Moria beginnt Anfang 2019 – sechs Jahre, nachdem auf Lesbos die ersten Flüchtigen aufgenommen wurden. Zugegeben: Ich war spät dran. Aber es geht nicht um mich, es geht nicht um meine Erfahrungen mit Flucht, Armut und Hunger; denn ich habe nichts davon erlebt. Ich kann euch nicht von Leid berichten, das ich persönlich nie erlebt habe. Bilder und Videos aus dem Lager übersteigen zudem meine Vorstellungskraft. Für viele reicht das aus, um wegzugucken. Ich kann nachvollziehen, was Menschen dazu bewegt. Verstehe jedoch nicht, dass jemand tatsächlich guten Gewissens wegschaut.

Genauso kann ich nicht nachvollziehen, was Politiker*innen davon abgehalten hat – und weiterhin abhält –, die Menschenwürde der Flüchtigen wiederherzustellen. In subjektiver Hinsicht kann ich sowohl über die Zustände in Moria als auch über politische Prozesse keine Erfahrungen mit euch teilen. Ich bin nur der Typ, der euch mit mathematischen Grundlagen und Zahlen überfallen hat. Ich muss euch nicht ins Gewissen reden, denn ihr habt bis hier hin gelesen. Ihr wisst, was auf dem Spiel steht; ihr kennt das Problem; ihr macht die Augen nicht zu. Und wenn ihr sie doch verschlossen habt: riskiert einen Blick. Sorgt dafür, dass ihr für euch ein Bewusstsein schafft. Versucht zu realisieren, was in Moria und anderen Lagern geschieht – nehmt es nicht als selbstverständlich hin, wenn von Leid und katastrophalen Bedingungen gesprochen wird. Nehmt den unschöneren Weg und führt euch die Zustände vor Augen. Informiert euch. Sprecht mit anderen. Mit Freunden und Familie. Diskutiert mit Fremden, wenn es sich ergibt. Macht jedem deutlich: Wir haben Platz.

Letztlich müsst ihr nicht nur Flüchtlingslager wie Moria hinterfragen, schon gar nicht nur die Entscheidungen verantwortlicher Politiker*innen kritisieren, sondern euch den Zuständen bewusstwerden. Als das Lager auf Lesbos im September 2020 wegen eines Großbrands evakuiert werden musste, verloren Tausende von Menschen ihren Schlafplatz. Ich will mir nicht vorstellen müssen, meinen Schlafplatz zu verlieren. Niemand will das. Nun versuche ich es und spiele mögliche Szenarien durch. Dadurch geht die Gleichung zwar nicht auf, es ist aber das Mindeste, was jede und jeder von uns tun kann – auch, wenn das lange noch nicht ausreicht.




Tom C. Hoops

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