Als weißer, heterosexueller Mann führe ich ein komfortables, gar privilegiertes Leben. Lucky me! Mir bleiben viele Strapazen, Sorgen, Konflikte und Grausamkeiten erspart, die den Alltag von Frauen [1] weltweit bestimmen. So mache ich mir keine Gedanken darüber, ob ich nachts allein nachhause gehe und anstelle der vielbefahrenen und gut ausgeleuchteten Hauptstraße entspannt eine Abkürzung durch eine dunkle Seitenstraße nehmen kann. Genauso wechsle ich nicht die Straßenseite, wenn mir dann doch jemand auf dem Bürgersteig entgegenkommt. Zugegeben: manchmal schon. Aber nicht aus Angst, Opfer einer Gewalttat zu werden, sondern um den Weg freizumachen und der Angst des Gegenübers zuvorzukommen. Das ist keine Heldentat, hilft aber ungemein, wie mir erzählt wird.
Wenn ich nachts mit Bus und Bahn unterwegs bin, sofern sie dann mal fahren, fängt mein Kopf nicht gleich an zu rattern. Doch ich weiß sehr wohl, dass auch diese Situation bei vielen Frauen gleichzusetzen ist mit purem Stress und am liebsten vermieden wird. Sogar in Angst umschlagen kann, wenn an der Haltestelle hinter einem ein Mann aussteigt. Der Umstand, dass dieser pauschal mit einer potenziellen Bedrohung gleichgesetzt wird ist nicht fair, aber in Teilen nachvollziehbar. Die physiologische Ungleichheit und die Erfahrung geben allen Frauen, die diese Gedanken haben recht, pauschal vorsichtig zu sein. Dafür reicht ein Blick in die eigenen vier Wände: 114 Femizide, getötete Frauen aufgrund ihres Geschlechts durch Personen im familiären Kontext, wurden 2023 in Deutschland registriert. Allerdings nicht offiziell, weil es für Femizide keine offiziellen Erhebungen gibt.
Daneben muss ich mich genauso so wenig mit unmoralischen Angeboten in Bars oder in den sozialen Online-Medien rumschlagen. Und auf Kleinanzeigen-Portalen kann ich inserieren, ohne anzügliche Nachrichten zu bekommen. Für meine Kleidung wurde mir noch nie Geld unter der Voraussetzung angeboten, dass ich diese vorher eine Woche lang beim Sport trage. Und wenn ich dann mal Sport mache (zurzeit Krise), kann ich sorgenfrei bei Dämmerung im Park joggen gehen. Und so geht die Liste an Dingen weiter, die das Leben von Frauen, zum Großteil unnötig, erschweren und von denen ich als Mann womöglich nur einen Bruchteil bisher reflektiert habe, geschweige denn kenne.
Die obigen Beispiele sind wenig originell, aber immer noch aktuell – und nur darauf kommt es an: Die Machtverhältnisse der Geschlechter in unserer Gesellschaft bleiben unausgewogen.
Ich habe lange überlegt, ob es mir überhaupt zusteht, diesen Text anlässlich des Weltfrauentages, 8. März, zu schreiben. Doch ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich hiermit niemandem die Chance nehme, es mir gleich zu tun. Vielmehr fordere ich dazu auf, möglichst viele Gedanken zu dem Thema zu veröffentlichen – ganz gleich welchen Geschlechtes man sich zugehörig fühlt. Gleichwohl kann und möchte ich nur von dem erzählen, was mir bisher zugetragen wurde, nicht aber aus eigener Erfahrung oder sogar im Namen der Frauen sprechen. Deshalb hier ein paar Fakten, die für sich stehen.
„Barbie“ ist weltweit der erfolgreichste Film des Jahres 2023. Doch während Ken, Ryan Gosling, für einen Oscar als bester Nebendarsteller nominiert ist, bleibt es Barbie, Margot Robbie, verwehrt, auf einen Oscar als beste Hauptdarstellerin zu hoffen. Erfolg allein macht noch keine Oscar-Nominierung, doch der bittere Beigeschmack bleibt. Umso mehr, weil auch die Regisseurin des erfolgreichsten Filmes 2023, Greta Gerwig, auf der Anwärter*innen-Liste des prestigeträchtigen Filmpreises unerwähnt bleibt. Jetzt könnte man argumentieren: Es sind einfach so viele Frauen in Hollywood-Produktionen unterwegs, die beiden wurden schlicht übertrumpft. Letzteres mag stimmen, ersteres ist ein Trugschluss: Die Universität von Südkalifornien fand heraus, dass lediglich in 30 der erfolgreichsten 100 Hollywood Filmen von 2023 Frauen eine Hauptrolle spielten – vom Anteil der Frauen über 45 Jahren ganz zu schweigen. Das entspricht demselben Verhältnis wie noch im Jahr 2010. Funfact: Die Google-Suche zu „weibliche Darstellerinnen in Hollywood-Filmen“ spuckt als allererstes die Liste der „hübschesten Schauspielerinnen“ aus.
Bleiben wir bei der ungleichmäßigen Verteilung von Arbeit: Das Statistische Bundesamt verkündete vor Kurzem, unter Berufung auf die Interparlamentarische Union, dass weltweit 26,8 Prozent aller Abgeordneten in nationalen Parlamenten Frauen sind. Dabei liegt Deutschland zwar über dem Durchschnitt (35,3 %), doch ist fernab von Parität bzw. der gleichmäßig verteilten Repräsentanz von Männern und Frauen. Kleiner konstruktiver Hinweis: Der globale Durchschnittswert steigt, wenn auch sehr langsam. Doch obwohl Ruanda (61,3 %), Kuba (55,7 %) und Nicaragua (53,9 %) mit gutem Beispiel vorangehen, sind auch dort Frauen rechtlich eingeschränkt.
Die fehlende Repräsentanz in nationalen Parlamenten macht sich in den Rechten von Frauen bemerkbar. Keines der Länder weltweit bietet Frauen die gleichen Chancen wie Männern. Keines. Stattdessen müssen sie sich mit durchschnittlich 64 % der Rechte zufriedengeben, wie sich aus einem Bericht der UN-Weltbank ergibt. Chancengleichheit ist also Mangelware. Dabei fehlt es nicht an den Gesetzen zur (annähernden) Gleichstellung, sondern an den Maßnahmen, die nach Erlass durchgeführt werden. Und selbst wenn sie umgesetzt würden, hätten Frauen erst 75 % der männlichen Rechte. Da ist es umso bemerkenswerter, wenn sich große Volkswirtschaften um Rechte bemühen, die im Grunde Männer nicht direkt betreffen: Frankreich änderte am 4. März 2024 die Verfassung und ermöglicht als erstes Land weltweit das Recht auf Abtreibung.
Was wäre eine Weltbank-Erhebung ohne Verweis auf das Gehalt? Von 98 Ländern, die gesetzlich die gleichwertige Bezahlung von Männern und Frauen festgeschrieben haben, ergriffen nur 35 entsprechende Schritte, um Löhne transparent zu machen und das Lohngefälle zu beseitigen.
Aber immerhin verdienen Frauen in Deutschland genauso viel wie Männer! Naja, sagen wir es so: Sie hätten es vermutlich verdient, bekommen aber faktisch weniger. Die sogenannte unbereinigte „Gender Pay Gap“ betrug im Jahr 2023 in Deutschland 18 Prozent, zeigt eine Erhebung des Statistischen Bundesamtes (Destatis). Oder anders: Das Gehalt von Frauen in Deutschland ist deutlich geringer als das von Männern. Denn während die Herren pro Stunde brutto 25,30 Euro auf der Gehaltsabrechnung stehen haben, sind es bei den Damen nur 20,84 Euro.
Und nun? Was machen wir mit den ganzen Infos zum Weltfrauentag? Wie für viele gesellschaftliche Herausforderungen gibt es ebenso wenig eine einfache Antwort auf die Frage, wie wir die ungleiche und ungerechte Behandlung von Frauen lösen. Fakt ist: Es ist nicht an einem einzigen Tag getan. Es gilt, auch auf die vermeintlichen Kleinigkeiten im Alltag zu achten. Jeden Tag, das ganze Jahr. Dabei ist der Weltfrauentag vor allem der Lautsprecher, welcher der Gesellschaft die Missstände ins Gedächtnis ruft. Und nur wer laut ist, kann auch gehört werden. Also teilt eure Gedanken (und diesen Blogbeitrag) mit Freund*innen und Familie, mit Follower*innen und Kolleg*innen und – warum nicht – auch mit Fremden.
[1] Mit Frauen sind alle weiblich gelesenen Personen gemeint.
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